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Frage

Guten Tag, seit einiger Zeit lese ich die Antworten, die auf der Seite “amici domenicani” gegeben werden, und einige habe ich wirklich sehr  interessant gefunden.  Sie gaben mir die Mӧglichkeit, vieles zu verstehen. Ich hätte eine Frage an Sie, Pater Angelo: in einigen Ihrer früheren Erläuterungen hielten Sie die Gnade Mariä (im Sinne der Achtung und Liebe Gottes zu ihr) für etwas Besonderes und Außerordentliches, etwas, was allen anderen Menschen irgendwie vorenthalten ist, da wir kein Recht oder Anspruch an Gott haben. Ich kann mich aber erinnern, dass Petrus in einer sehr schӧnen Passage sagte, “Gott richtet ohne Ansehen der Person” und ich mӧchte glauben, dass alle Vorteile und die in der Welt angeborenen Unterschiede im Himmel endlich aufgehoben werden. Dieses Ausgangsprinzip steht nicht im Gegensatz zur gӧttlichen Gerechtigkeit, und es werden allein unsere Taten auf dieser Erde sein, die einen eventuellen Unterschied machen werden. In den Augen Gottes sind wir alle gleich. 

Der einzige Unterschied im Ausgangszustand zwischen Maria und einem anderen Menschen besteht darin, dass Sie ohne Erbsünde geboren wurde, aber dieser Unterschied  wurde für uns  durch die Taufe getilgt. Ich frage mich also, ob es einem normalen Menschen theoretisch mӧglich ist, durch seinen Einsatz und Willen, Gott gegenüber einen Gnadenzustand zu erreichen, der dem von Maria gleichkommt. Die Rede ist nicht,  ihren Platz einzunehmen (sie ist die Mutter Gottes und dem kann keiner gleichkommen), sondern ich frage mich, ob wir die gleiche Menge an Liebe von Gott erhalten kӧnnen (was Maria nichts nehmen würde, auch die Besonderheit nicht, die Mutter Jesu zu sein), wenn man es verdient hat. Auch der Hl. Thomas sagte in einem Schreiben, dass die einzige Grenze zur Gnade die ist, die wir uns selber setzen. Aber wenn Maria in irgendeiner Weise von Gott begünstigt und privilegiert geboren wurde und es unmöglich ist, auch nur daran zu denken, von Gott so sehr geliebt zu werden wie Sie, (was, ich wiederhole, nicht bedeuten würde, ihren Platz einnehmen zu wollen), welchen Sinn würde alles machen, woran wir glauben, und die Annahme, dass Gott keinen bevorzugt? Wenn alles, was wir machen, aufgrund unseres Wesens ja doch nie ausreicht…., andererseits ist auch Maria eine von uns.

Ich hoffe, dass ich mir nicht etwas ganz Falsches überlegt habe und dass Maria uns nahe sein kann. Tausend Dank. 

Francesco


Antwort des Priesters 

Lieber Besucher,

1. die Passage von dem Hl. Petrus, in der steht, dass Gott niemanden bevorzugt, ist die folgende: “Und wenn ihr den als Vater anruft, der jeden ohne Ansehen der Person, nach seinem Tun beurteilt, dann führt auch, solange ihr in der Fremde seid, ein Leben in Gottesfurcht” (1 Petr. 1,17).

Die Bevorzugung hat in der Theologie eine bestimmte Bezeichnung, und zwar acceptio personarum.

Es ist nicht einfach, dieses Wort ins Italienische zu übersetzen. Wӧrtlich sollte man “Annahme von Personen” sagen. Normalerweise verwendet  man ein Synonym und man sagt Günstlingswirtschaft oder auch Parteilichkeit.   

2. Die Parteilichkeit oder acceptio personarum stößt gegen die Verteilungsgerechtigkeit, weil man einen Menschen nicht nach Verdienst belohnt, sondern weil er dieser bestimmte Mensch ist. Der Hl. Thomas widmet eine ganze Quaestio der Summa Theologiae der acceptio personarum, und er teilt sie in vier Kapiteln auf.  

3.  Was die Gerechtigkeit angeht, bevorzugt Gott niemanden.  

Er ist ein  “gerechter Richter” und wird jedem  “einen Kranz der Gerechtigkeit” geben  (2. Tim 4,8).

4. Dagegen kann man nicht von Parteilichkeit oder acceptio personarum sprechen, wenn man ganz frei spendet. 

Der Fall des Weinbergbesitzers, der am Ende des Tages, wie vereinbart, denjenigen einen Denar gibt, die in der ersten Stunde zur Arbeit gerufen wurden.

Und er will auch denjenigen eine Münze geben, die ohne ein bestimmtes  Tarifabkommen nur eine Stunde und in der letzten Stunde des Tages gearbeitet haben. 

Aus dem Evangelium wissen wir, dass diejenigen, die nur eine Stunde gearbeitet hatten, als sie hörten, dass die letzten auch einen Denar erhalten hatten, auf mehr hofften. Als sie aber sahen, dass der Besitzer ihnen wie vereinbart nur einen Denar gab, gingen sie murrend davon.

“Da erwiderte er einem von ihnen:  Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh!  Ich will dem Letzten ebenso viel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehӧrt, nicht tun, was ich will ? Oder ist dein Auge bӧse, weil ich gut bin?  (Mt 20,13-15).

Daher können wir in Bezug auf die der Muttergottes vom ersten Moment ihrer Existenz an verliehenen Gnaden nicht von Parteilichkeit oder acceptio personarum sprechen. Alles ist Frucht der Freigebigkeit Gottes. 

5. Du fragst mich, ob jemand der Gnade der Gottesmutter gleichkommen kann.  

Nein, dies ist nicht möglich, zumal die Muttergottes vom ersten Moment ihres Daseins an eine höhere Gnade empfangen hat als alle Bewohner des Paradieses zusammen.

Denn sie musste – auch in unserem Namen – eine würdige Mutter Gottes sein und dann, damit sie mit derselben Heiligkeit und Liebe, auch Mutter der Kirche und eines jeden von uns werden konnte.  

Wie man sieht, ist der Heiligkeitsgrad, den Gott der Mutter Gottes verlieh, ein außerordentlicher Akt der Liebe auch für uns. 

Nur Gott konnte etwas so Großes und Schönes tun, das wirklich Seiner würdig  ist.   

6. Aber im zukünftigen Leben wird dennoch niemand das Schicksal anderer beneiden können. Jeder wird satt und vollkommen glücklich sein.

In diesem Zusammenhang ist es schön zu zitieren, was die heilige Therese vom Kinde Jesu in der “Geschichte einer Seele” schreibt: „Pauline nahm alle meine intimen Vertraulichkeiten auf und brachte Licht in alle meine Zweifel. Einmal wunderte ich mich, dass der Herr nicht allen Auserwählten die gleiche Ehre im Himmel gibt, und ich fürchtete, dass nicht alle glücklich sein würden; da sagte Pauline, ich solle Papas großes Glas holen und es neben meinen kleinen Fingerhut stellen, dann solle ich beide mit Wasser füllen; und sie fragte mich: „Welches ist voller?“

Ich antwortete ihr, dass sie beide voll seien und nicht mehr Wasser eingefüllt werden könne, als sie fassen könnten.

Meine liebe Mutter ließ mich verstehen, dass der liebe Gott Seinen Erwählten so viel Herrlichkeit gibt, wie sie sie erhalten kӧnnen, und dass der Letzte den Ersten um nichts beneiden werden wird”  (Geschichte einer Seele, 66).

Während ich dir wünsche, zu deinem und auch zu unserem Nutzen den hӧchsten Grad an Gnade zu erreichen, versichere ich dir, dass ich dich in mein Gebet besonders einschließe und segne dich.

Pater Angelo