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Die Antwort steht in Kursivschrift nach der jeweiligen Frage.

Hallo lieber Pater Angelo,

ich wende mich an Sie, weil ich Ihre Rechtgläubigkeit und die Vollständigkeit Ihrer Antworten bewundere. Ich möchte Ihnen gleich von meinen Zweifeln erzählen, die durch eine Angelegenheit, die meine Familie betrifft, entstanden sind, und hoffe auf eine klare Antwort von Ihnen, wie nur Sie sie geben können.

Lieber Emiliano,

zunächst einmal möchte ich mich für die lange Verzögerung bei der Beantwortung deiner Anfrage entschuldigen. Deine E-Mail war unter den vielen anderen, die während der Weihnachtszeit eingegangen sind, begraben. Aber jetzt bin ich ganz für dich da.

Nach jeder deiner Fragen findest du meine Antwort.

Meine Schwester hat durch gemeinsame Freunde einen Mann kennengelernt. Da er in Albanien lebte, sind sie eine Zeit lang via Skype in Verbindung geblieben. Im Sommer haben sie sich dann getroffen und daraufhin hat er sie regelmäßig hier in Italien besucht. Sie haben sich ineinander verliebt und offiziell verlobt. Um das Zusammentreffen zu erleichtern, beschloss meine Schwester (ebenfalls Albanerin, aber mit italienischer Staatsbürgerschaft), ihn standesamtlich zu heiraten. Er hat also seinen Job gekündigt und ist zu ihr gezogen. Obwohl meine Schwester ihn geheiratet hat, hat sie nicht die Absicht, die christliche Ehe zu ersetzen. Der einzige Grund, weshalb sie sich für die standesamtliche Ehe entschieden hat, ist, um in der Nähe zu sein, im selben Land. Hier also die erste Frage: Ist diese Ehe der beiden trotzdem eine schwere Sünde?

Nein, die von deiner Schwester rein standesamtlich geschlossene Ehe ist keine Todsünde, denn es handelt sich um eine reine Formalität, eine fictio iuris, um ihren Verlobten nach Italien bringen zu können. Deine Schwester weiß, dass sie nicht verheiratet ist und verhält sich infolgedessen nicht wie eine Ehefrau. Sie weiß, dass nur die vor Gott gefeierte Ehe eine wahre Ehe ist.

Außerdem studiert meine Schwester in Rom und lebt dort zusammen mit Freundinnen. Wenn sie kann, kommt sie zu uns nach Hause. Aber sie wohnt auch bei ihrem Freund, der im selben Wohnblock wie wir wohnt. Sie schlafen auch zusammen. Dann kehrt sie nach Rom zu ihren Freundinnen zurück, um an den  Vorlesungen teilzunehmen. Sie hat mir anvertraut, dass sie und ihr Freund zwar miteinander schlafen, sie aber erst nach der kirchlichen Trauung ihre erste intime Beziehung mit ihm haben will. Und er hat ihre Entscheidung akzeptiert und „wartet auf sie“. Hier stellt sich die zweite Frage: Ist ihre besondere Situation als Zusammenleben zu betrachten? Und handelt es sich angesichts der Tatsache, dass es keinen Geschlechtsverkehr gibt, trotzdem um eine Situation der Todsünde?

Ich freue mich über die Ernsthaftigkeit deiner Schwester, die sich körperlich nur demjenigen hingeben will, der wirklich ihr Mann sein wird. Das ist wahre Liebe. Es ehrt sie und ehrt auch ihren zukünftigen Ehemann. Miteinander zu schlafen ist jedoch eine Quelle des Skandals. Du vertraust deiner Schwester, weil du sie kennst. Aber denken die Leute in der Wohnanlage auch so, wie du denkst? Außerdem sind nicht nur intime Beziehungen vor der Ehe eine ernste moralische Störung. Es kann auch andere Unreinheiten geben, die ebenfalls eine schwere Sünde darstellen, weil sie die Reinheit der Liebe untergraben. Indem man im selben Bett schläft, begibt man sich in die nächste Gelegenheit zur Sünde.

Zum Schluss noch eine letzte Frage: Meine Eltern und der Freund meiner Schwester sind nicht sehr gebildet, was die Wahrheiten des Glaubens angeht, obwohl sie „praktizierende Gläubige“ sind. Sie haben nämlich in Albanien gelebt, d. h. in einem Umfeld, in dem es sehr schwierig ist, über Religion aufgeklärt zu werden, weil die kommunistische Diktatur, die 1990 endete, die katholische Religion verboten und bekämpft hat. Sie glauben also an Jesus und gehen fast jeden Sonntag in die Kirche, aber obwohl sie sehr gläubig sind (ich spreche eher von meiner Mutter), verstehen sie die Bedeutung einzelner Gebote oder Lehren nicht. Ich habe ihnen zum Beispiel gesagt, dass es eine schwere Sünde ist, auch nur eine Sonntagsmesse ohne triftigen Grund zu versäumen. Aber sie scheinen das nicht verinnerlicht zu haben, und wenn sie einmal fehlen, gehen sie trotzdem zur Kommunion. Oder ich habe meinen Eltern von natürlichen Methoden der Empfängnisverhütung erzählt, aber das Thema ist ihnen völlig neu. Sie haben zwar nie künstliche Verhütungsmittel benutzt, aber sie praktizieren den Coitus interruptus. Sie scheinen mit ihrem Gewissen im Reinen zu sein, weil sie nicht verstehen können, dass dies eine Sünde ist. Daher meine letzte Frage: Ist dies in diesem Fall eine Todsünde? Oder gibt es kein volles Bewusstsein? Mich macht der Gedanke krank, dass meine Familienmitglieder, die mir den Glauben seit meiner Kindheit weitergegeben haben, für einige Gebote verurteilt werden können, die sie anscheinend nicht verinnerlichen können. Deshalb versuche ich, ihnen die Wahrheit zu erklären, aber ohne aufdringlich zu werden. Wenn ich sehe, dass sie zur Kommunion gehen, obwohl sie einige Sonntage nicht zur Messe gegangen sind, denke ich an ihre Unwissenheit und bete, dass Gott sich ihrer erbarmt. Ist mein Verhalten richtig, Pater?

1. Das Fernbleiben von der Messe ohne schwerwiegenden Grund ist eine schwere Sünde. Ebenso ist die Praktik des Koitus interruptus eine eklatante Veränderung von Gottes Plan für die menschliche Liebe und Sexualität. Auch dies ist eine schwere Sünde. Sowohl die Heilige Schrift als auch die Lehre der Kirche (Katechismus der Katholischen Kirche) besagen, dass dies eine schwere Sünde ist. In keinem der beiden Fälle darf man die Heilige Kommunion ohne Beichte empfangen. Die Dinge sind objektiv gesehen klar und bedürfen keines Kommentars.

2. Um eine schwere Sünde zu begehen, bedarf es jedoch nicht nur einer schwerwiegenden Materie, sondern es sind auch das volle Bewusstsein und die bedachte Zustimmung des Willens erforderlich. Im Fall deiner Eltern besteht sicherlich eine schwere Materie und sicherlich auch eine bedachte Zustimmung des Willens, d. h. die Beherrschung ihrer Handlungen. Aber gibt es ein volles Bewusstsein? Mit vollem Bewusstsein ist gemeint, dass sie wissen, was sie tun (dieses Vorwissen haben sie sicherlich; die Theologen nennen es psychologisches Vorwissen) und dass sie wissen, dass es eine schwere Sünde ist. Das ist die sogenannte moralische Wahrnehmung. Nun, nach dem, was du mir schreibst, fehlt ihnen die moralische Wahrnehmung. Und das führt dazu, dass das, was sie tun, objektiv eine schwere Sünde ist, aber nicht subjektiv.

3. Du versucht nun, ihnen die Dinge zu erklären. Aber manchmal gibt es innere Mechanismen, die einen daran hindern, sich an bestimmte Wahrheiten zu halten, die gewisse Überlegungen erfordern, um vollständig verstanden zu werden. Dies ist wahrscheinlich der Fall bei deinen Eltern, die glauben, dass ein bestimmtes Verhalten keine schwere Sünde darstellt. Und auf diesen Fall bezieht sich auch das Vademecum für die Beichtväter, wenn es heißt: „in Bezug auf die eheliche Keuschheit ist immer jenes Prinzip als gültig anzusehen, demzufolge es vorzuziehen ist, den Pönitenten in gutem Glauben zu belassen, falls ein auf subjektiv unüberwindliche Unwissenheit zurückzuführender Irrtum vorliegt, und es abzusehen ist, dass der Pönitent, wenngleich unterwiesen, ein Leben des Glaubens zu führen, sein Verhalten nicht ändern würde, sondern vielmehr auch in formaler Hinsicht sündigen würde“ (Nr. 8). Materielle Sünde bedeutet, dass sie objektiv so ist, und formelle Sünde bedeutet, dass sie auch subjektiv so ist, weil ein volles Bewusstsein und eine bedachte Zustimmung vorliegen.

4. Das Vademecum bleibt jedoch nicht dabei stehen und fügt hinzu, dass der Beichtvater sich auch in diesem Fall darum zu bemühen hat, die Beichtenden immer mehr dahingehend zu fördern, dass sie in ihrem Leben den Plan Gottes annehmen, auch was die Forderungen der ehelichen Keuschheit angeht. Zu diesem Zweck kann der Beichtvater dem Pönitenten das Gebet empfehlen, ihn zur Gewissensbildung auffordern oder ihm eine gründlichere Kenntnis der kirchlichen Lehre anraten (n. 8). Das ist es, was du anstelle des Beichtvaters tust.

5. Ohne deinen Eltern einen Mangel an christlicher Erziehung in lehrmäßiger Hinsicht vorzuwerfen, der im Übrigen nicht auf ihren Willen zurückzuführen ist, sondern auf die Situation, in der sie den ersten Teil ihres Lebens verbracht haben, möchte ich betonen, worauf ich schon oft hingewiesen habe: dass ein Verhalten, das in der ehelichen Intimität (und die Sexualität berührt den intimen Kern der Person, wie Johannes Paul II. betonte) nicht mit dem Gesetz Gottes übereinstimmt, sich, ohne dass man sich dessen bewusst ist, auch auf ein ähnliches Verhalten in anderen Lebensbereichen auswirkt, wie z. B. auf das dritte Gebot, d. h. des Sonntagsgebots.

6. Und selbst für deine Eltern ist die Sünde, auch wenn sie aus subjektiver Sicht kein schwerwiegender Fehler ist, immer schmerzhaft, da sie ein Übel ist und deshalb gewisse Fortschritte im Leben der Vereinigung mit dem Herrn verhindert.

Ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft und bete ein Ave Maria für Sie, und dass Gott mehr Priester wie Sie in der Kirche erwecken möge, in einer Zeit wie der unseren, in der allgemeine Verwirrung herrscht.

Ich danke dir von ganzem Herzen für das Ave Maria, das du mir zugesichert hast. Gerne erwidere ich das Gebet für dich und versuche, es zu vervielfachen, um die verspätete Antwort auszugleichen. Ich habe das, was du am Ende deiner E-Mail geschrieben hast, stehen lassen, nicht so sehr, weil es schmeichelhaft für mich ist (ich weiß, der Herr kennt das Innerste der Herzen, und zu meinem Nachteil kennt er mich nur zu gut!), sondern eher, um unsere Besucher aufzufordern, für dich zu beten, weil die Kirche, die Seelen aller, Priester wie dich brauchen würden. Doch des Herrn Wille geschehe.

Gott segne Sie.
Emiliano

Auch ich segne dich. Ich werde in der Heiligen Messe, die ich heute Morgen feiere, in besonderer Weise deiner gedenken.

Pater Angelo