Questo articolo è disponibile anche in: Italienisch Deutsch

Frage

Lieber Pater Angelo,

danke für Ihr Apostolat im Internet.  Im Hinblick auf die vielen Leser, scheint es sehr wertvoll zu sein, und entspricht ganz dem Charisma der Dominikaner, die Wahrheit zu predigen.  

Ich würde Ihnen gern zwei Fragen stellen, die sich voneinander ein bisschen unterscheiden.

1. Wenn die Kirche einen Getauften heilig spricht, heißt das dann, dass seine Seele bestimmt im Himmel ist, bzw. dass sie nach dem Tod direkt in den Himmel gekommen ist, ohne das Purgatorium erlitten zu haben? Ich würde eher das Zweitere denken, denn ein Heiliger ist nicht nur unser Fürsprecher, sondern dient durch sein Leben auch als Vorbild für uns. 

2. Hinsichtlich dem Verzeihen der Beleidigungen, was zu den, von Jesus auferlegten und praktizierten Werken der Barmherzigkeit gehört (diesbezüglich danke ich Ihnen für die netten Antworten, die Sie verschiedenen Lesern gegeben haben) möchte ich Sie fragen:  wie ist das Gebot der Vergebung mit dem der Ermahnung der Sünder vereinbar?

Ich erkläre es besser: Wenn ich von jemanden beleidigt werde, aber dazu schweigen und, des Stolzes wegen, Demütigungen hinnehmen muss, wie kann ich gleichzeitig denjenigen darauf aufmerksam machen, dass die Beleidigung etwas falsches ist? 

Sünder zurechtzuweisen ist ein weiteres Werk der Barmherzigkeit. Ist es vielleicht die Besonnenheit, die in Anbetracht der Umstände uns sagt, wann es gut ist zu schweigen oder wann man hingegen sprechen sollte?

Ich grüße Sie und versichere, dass ich für Sie und Ihr Apostolat den Rosenkranz beten werde. 

Alessandro


Antwort des Priesters

Lieber Alessandro,

1. die Kirche glaubt, dass die Märtyrer direkt in den Himmel kommen, weil das für den Herrn vergossene Blut eine so große und heroische Tat der Liebe ist, dass es alle Sünden auslӧscht.  

Der Hl. Petrus sagt, dass die Liebe eine Vielzahl von Sünden  zudeckt  (1 Petr. 4,8). 

Geschweige denn, wenn es sich dabei nicht nur um eine gemeinsame, sondern eine heroische Wohltätigkeit handelt. 

2. Bei der Heiligsprechung glaubt die Kirche, dass der Heilige in jenem Moment bestimmt im Paradies ist. 

Ob der Heilige zuvor aber das Purgatorium erlitten hat, dazu äußert sie sich nicht. 

Deine These ist aber durchaus wahrscheinlich, denn alle kanonisierten Heiligen haben alle Tugenden heroisch ausgeübt.  

3. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es zusammen mit dem heroischen Grad der Tugenden vielleicht einige nicht so vollkommene Akte geben kann.  

Andererseits lehrt der Hl. Thomas, dass was zueinander im Gegensatz steht, nicht im nämlichen Subjekt sein kann. Die Sünde aber steht in einem gewissen Gegensatz zur Tugend.

Das bedeutet, dass sich die sündhafte Handlung einer tugendhaften Handlung entgegensetzt.  Aber das Sündigen lӧscht die Tugend nicht aus, weil sie eine Neigung und feste Bereitschaft ist, Gutes zu tun. 

Deshalb kann ein weniger perfekter Akt oder  ein sündhafter Akt mit einer entgegengesetzten Tugend koexistieren, (Summa theologiae, I-II, 71,4), außer den eingegossenen Tugenden und der Reinheit.  Bezüglich dieser letzten Tugenden lӧscht die einzelne Sünde auch die Anwesenheit der Tugend aus.  

4. Den privaten Offenbarungen nach, habe Pater Pio von Pietrelcina, der don Orione für einen Heiligen hielt, bei seinem Tod Folgendes gesagt: “Auch  don Orione hat eine halbe Stunde im Purgatorium verweilt”.

Unabhängig davon, ob die Behauptung wahr ist, kӧnnen wir sagen, dass es zumindest im Prinzip vorkommen kann.  

5. Um die zweite Frage angemessen zu beantworten, gibt es nichts Besseres, als zu sehen, was Unser Herrgott gemacht hat, der uns gebeten hat, bis zu siebzigmal siebenmal zu vergeben  (Mt 18,22) und gleichzeitig uns dazu aufruft, als Akt der Nächstenliebe, die Sünder zu ermahnen: “Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht! ” (Mt. 18,15)

Als Unser Herr während des Prozesses von einem Diener des Hohenpriesters geohrfeigt wurde, war Er in seinem Herzen bereit, nicht nur eine Ohrfeige, sondern auch die Geißelung, die Dornenkrone, jede Art von Erniedrigung,  und die Kreuzigung zu ertragen, und ermahnte den Diener so: “Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach.  Wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?” (Joh. 18,23).

Wie du siehst, hat der Herr gleichzeitig vergeben und ermahnt.  

6. Der Hl. Thomas fragt sich zu diesem Thema, ob man die Beleidigungen immer hinnehmen muss.  

Und er antwortet: “Die Pflicht, Schmähungen zu ertragen, muss als  eine Geisteshaltung betrachtet werden, so wie der Hl. Augustinus sagt, wenn er jenes Gebot des Herrn erklärt: ‘Wenn man dich auf die eine Wange schlägt, reiche auch die andere hin’, ist so festzuhalten, mit Rücksicht auf die eigene Bereitwilligkeit, wenn es notwendig ist.  

Keiner muss es aber wirklich tun, weil der Herr selbst es nicht tat.  Wenn man Ihm einen Schlag ins Gesicht gegeben hatte, sagte er: ‘Warum schlägst du mich?’, so wie der Hl. Johannes erzählt  (Joh 18,23).  Deshalb gilt auch im Hinblick auf Schmähungen die gleiche Regel.  Wir müssen also immer im Geist bereit sein, Schmähungen zu ertragen, wenn es nӧtig ist. In einigen Fällen muss man aber Widerstand leisten, besonders aus zwei Gründen:

Zum Nutzen derjenigen, die schmähen:  um die Kühnheit zu unterdrücken, damit diese Akte nicht mehr wiederholt werden.  Deshalb heißt es in Prov. 26,5: ‘Antworte dem Toren, wie es seine Dummheit verdient, damit er sich nicht einbildet, ein Weiser zu sein’;

Zum Nutzen anderer Menschen, deren Wohl durch die gegen uns gerichteten Schmähungen gefährdet wird” (Summa theologiae, II-II, 72, 3.).

7. So wie du selbst bemerkt hast, muss die Angemessenheit der brüderlichen Zurechtweisung immer durch ein besonnenes Urteil abgewogen werden. 

Ich wünsche dir alles Gute, schließe dich in mein Gebet ein und segne dich.

Pater Angelo